„Willst du stillen?“
Schon vor der Geburt ist es die scheinbar dringlichste Frage: „Willst du stillen?“ Und jetzt antworte bitte nicht: „Nein, ich gebe lieber die Flasche“, das wäre die falsche Antwort.
Denn auch die Hebammen und Krankenschwestern gehen kurz nach der Geburt im Krankenhaus davon aus: Das Kind wird gestillt und sofort nach der Geburt angelegt. Es dauert weniger als zehn Sekunden, je nach den Umständen der Geburt, und es wird angedockt.
Und wie wir heute wissen, ist auch das Bonding, also der lange, enge Körperkontakt zur Mutter oder zum Vater, sehr gut für den Säugling und hilft ihm, sich in der Welt zurechtzufinden.
Außerdem ist nichts natürlicher als das Stillen. Das stimmt. Muttermilch ist definitiv das Beste, was das Kind bekommen kann, sie enthält alle wichtigen Nährstoffe. Ebenfalls wahr. Sie hält den Nestschutz des Säuglings länger aufrecht.
Aber passt das Stillen noch in unsere Zeit? Muss jede Frau stillen? Und überhaupt, wen interessiert es eigentlich, wie eine frischgebackene Mutter ihr Kind füttert?
Der erste Körperkontakt zwischen Mutter und Kind ist etwas ganz Besonderes. Beide müssen sich gegenseitig beschnuppern und kennen lernen.
Die meisten Kinder sind auch nicht sofort nach der Geburt hungrig, sie sind noch versorgt und brauchen eigentlich keine Milch, aber sie werden angelegt und lernen zu saugen und zu nuckeln.
Wenn es nicht gleich klappt oder das Kind noch weint, glauben viele Mütter sofort, dass dies bereits der Moment ist, in dem sich entscheidet, ob sie ihr Kind stillen können und wollen oder nicht. Schließlich haben sie sich schon im Vorfeld genug verrückt gemacht.
Willst du stillen? Wie lange? Und in welcher Position? Wie willst du es machen, wenn du wieder zur Arbeit gehst oder sogar ein Glas Sekt zum Geburtstag trinken möchtest?
Stillen klappt oft nicht, das hat man uns im Geburtsvorbereitungskurs gesagt, und dann nimmt man natürlich Stillhütchen. Aber man kann auch abpumpen, elektrisch mit einer hypermodernen Saugmaschine oder mechanisch, aber nicht zu spät und nicht zu früh, nicht zu wenig und schon gar nicht zu viel. Am besten ist es aber auch, gar nicht abzupumpen. Wie gesagt, du kannst Stillhütchen verwenden, aber nicht zu oft, nicht zu lange, und wenn, dann die teuren, aber nicht die aus Plastik. Die Auswahl an Produkten in Drogerien und Apotheken ist fast unbegrenzt. Verwirrend. Und gar nicht so einfach, wenn man dem Baby nur etwas zu essen geben will.
Alles ist nicht so einfach.
So wie der Moment, wenn die Hebamme schon ein oder zwei Tage nach der Geburt sagt, dass die Milch wahrscheinlich noch nicht reicht. Dass dies normal ist und einige Zeit dauern wird, wird den frischgebackenen Müttern oft verschwiegen, im Gegenteil, es wird ihnen oft klargemacht, dass sie wirklich daran arbeiten müssen, die Milch zum Fließen zu bringen. Niemand sollte das Stillzimmer unnötig lange blockieren.
Schließlich soll die Frau ja funktionieren, und so geht man davon aus, dass kurz nach der Geburt alles im wahrsten Sinne des Wortes rund läuft.
Und wenn das nicht der Fall ist?
Manchmal kann es eine Weile dauern, bis die Brust ihre Milchproduktion in Gang bringt, und das Kind hat zu diesem Zeitpunkt vielleicht schon Hunger.
Stillen um jeden Preis
Nicht einmal 5 Prozent aller Mütter haben wirklich von Natur aus zu wenig Milch oder ihre Milchproduktion ist gestört. In seltenen Fällen hat dies auch medizinische, aber viel mehr psychische Ursachen. Mit anderen Worten: Stress und mangelnde Stillbereitschaft sind nicht zu unterschätzende Ursachen. Das klingt zunächst paradox und unlogisch. Warum sollte es nicht funktionieren, wenn ich stillen will? Und wenn mir das Kind gleich nach der Geburt im Krankenhaus an die Brust gelegt wird und mich alle geradezu anfeuern, mit dem Stillen zu beginnen, kann es eine Weile dauern, bis es wirklich klappt. Oder es klappt gar nicht.
Vielleicht ist das genau der Punkt. Von den Hebammen bis zu den Kinderärzten und anderen Müttern erwarten alle, dass die frischgebackene Mutter schnell stillt, überall, aber bitte nicht zu auffällig und immer etwas diskret. Das ist ein nicht zu unterschätzender Druck, der dazu führt, dass vielen Frauen das Stillen nicht wirklich gelingt. Oder dass sie sich einfach nicht wohl dabei fühlen.
Darüber hinaus kann es eine Art Trotzreaktion auslösen. Unbewusst bestimmt, aber im Sinne von: „Vielleicht will ich gar keine Milch geben, die ganze Zeit.“ Eine psychische Belastung, die sicherlich den Milchfluss verhindert.
Und in der Tat, nicht jede Frau erlebt es als eine wunderbare Erfahrung und intime Verbindung mit dem Kind. Kaum jemand traut sich, es auszusprechen, aber das Stillen ist nicht für jede Frau erfüllend.
Die wenigsten Frauen wollen zugeben, dass sie das Stillen an sich nicht so erstrebenswert finden. Schließlich ist Babynahrung im aktuellen „Bio-vegan-zurück-zum-Original“-Trend unserer Zeit geradezu verpönt, und die jungen Mütter mit Babys auf dem Arm schreien entrüstet auf, wenn eine Mutter in der Krabbelgruppe erwähnt, dass sie das Stillen nicht mag.
In den siebziger Jahren war das noch anders. Damals kam die Babynahrung gerade auf den Markt, und selbst die Hebammen in den Krankenhäusern brachten den Müttern direkt die Flasche, anstatt das Baby anzulegen.
Es gab also schon immer gewisse Richtlinien, wie die Säuglingsernährung ablaufen sollte und was für das Kind auf jeden Fall das Beste ist. Mal war es die moderne Babynahrung, heute ist es wieder die Muttermilch. Die Sichtweise, was gut für das Kind ist, hat sich geändert, aber der Druck auf die Mütter ist sicher geblieben.
Denn auch wenn das Stillen heute an der Tagesordnung ist, wird von den Müttern erwartet, dass sie wieder arbeiten gehen. Ganz zu schweigen davon, dass sie vielleicht auch arbeiten gehen müssen, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten zu bezahlen. Wie passt das also zusammen?
Wenn Unternehmen und Arbeitgeber nicht zufällig einen komfortablen Stillraum, eine betriebseigene Kindertagesstätte, ein Eltern-Kind-Büro oder ähnliche kreative Möglichkeiten haben, damit Frauen ihre Kinder zum Stillen mitbringen können, dann findet sich die eine oder andere Mutter schnell auf der Damentoilette wieder, um ihr Kind in aller nicht vorhandenen Ruhe zu stillen.
In vielen Ländern gibt es kein Elterngeld wie in Deutschland und die damit verbundene Möglichkeit, mindestens ein Jahr lang zu Hause zu bleiben und selbst zu entscheiden, ob man stillt oder nicht. Dieses Selbstbestimmungsrecht für mindestens ein Jahr nimmt ihnen niemand ab.
Das alles passt nicht wirklich zu der Vorstellung unserer Gesellschaft, dass eine Mutter auf jeden Fall stillen sollte und nur das das Beste für das Kind ist.
Stillpraxis
Wenn du jedoch die Zeit und den Willen zum Stillen findest, stellt sich im Alltag, auch ohne zur Arbeit zu gehen, die Frage, wo und wie du das Stillen bewältigen kannst. Früher war es durchaus üblich, dass sich die Mutter zum Stillen zurückzog. Heute sitzt sie im Kindercafé. Und findet dort etwas Ruhe.
Natürlich ist es gut und schön, dass es diese Möglichkeiten heute gibt, so wird zumindest etwas Stress aus der Sache genommen und die Mütter müssen nicht isoliert zu Hause sitzen und können sich in der aufregenden ersten Zeit mit Baby im Café austauschen.
Hier gibt es zumindest einen Ort, meist mitten in der Stadt, wo Mütter und Babys willkommen sind. Denn außerhalb des Kindercafés sieht es wieder anders aus, und die stillende Mutter wird im Restaurant komisch angeschaut, und wenn das Kind dann noch zu schreien wagt, ist es mit der Gastfreundschaft im Restaurant oder Café ganz vorbei.
Der Kellner oder andere Gäste können sehr schnell frech werden. Unsere Gesellschaft scheint noch nicht so weit zu sein, dass stillende Mütter in der Öffentlichkeit immer willkommen sind.
Nein, es ist nicht einfach, sich in der Hektik unserer Zeit, im Umfeld all der neuen Mütter und mit all den hohen Ansprüchen, die man an sich selbst stellt, Zeit zum Stillen zu nehmen und sich dafür zurückzuziehen. Aber Stillen kommt aus der Stille.
Vielleicht liegt es auch an dem Anspruch an sich selbst, nach einer Geburt schnell wieder funktionieren zu können. Jederzeit mit den Freundinnen ausgehen zu können, samstags stundenlang einkaufen zu gehen oder die Verwandten wie selbstverständlich zur Babyausstellung einzuladen und die tägliche Besucherschar mit belegten Brötchen und Selbstgebackenem zu versorgen. Einfach um zu zeigen: „Seht her, ich habe ein Kind, aber ich bin immer noch die Alte und das hier ist easy!“
Eigentlich bist du dabei, das alles zu tun. Aber du solltest es trotzdem sein lassen und dich stattdessen entspannen, erholen, auf dich und dein Kind konzentrieren. Gar nicht so einfach, wenn man sich auch noch um den Nachwuchs, den Krippenplatz und den ersten Schwimmkurs kümmern muss. Aber wie gesagt, das Stillen kommt aus der Stille, und die braucht es. Zumindest so lange, bis es reibungslos läuft und Mutter und Kind sich entspannen.
Plan oder Planlos
Ist das Stillen erst einmal etabliert, stellt sich die nächste Frage: Soll man nach einem genauen Zeitplan stillen, alle 2-3 Stunden, oder nach den Bedürfnissen des Kindes? Auch hier gibt es Bücher, Artikel, Meinungen und Dutzende von Ansätzen.
Das Kind soll einen Rhythmus bekommen, gleichzeitig muss sich die Milchproduktion dem Bedarf, d.h. der benötigten Milchmenge, anpassen, sonst droht ein Milchstau. Es ist wohl eine Glaubensfrage. Aber wenn man sich vorstellt, wie es wäre, wenn das Stillen nach einer gewissen Zeit des Übens einfach nebenher laufen würde, dann erscheint es sehr verlockend, es ohne große Anstrengung einfach in den Alltag integrieren zu können.
Ein Ereignis wie das Stillen alle paar Stunden genau einplanen zu können, klingt zunächst nach Kontrolle, die wir lieben. Und es klingt so, als könnte man sich wunderbar darauf einstellen, das Kind gut timen und alle anderen Termine geschickt darum herum aufbauen. Wenn man genau weiß, wann das Stillen stattfinden soll und wie lange es dauern wird, fühlet man sich in den Stillzeiten vielleicht nicht so eingeschränkt, weil sie abschätzbar sind.
Was aber, wenn du nicht mehr planen und dein Kind einfach stillst, wenn es Hunger hat? Und keine Sorge, es wird sich melden. Dann könnte es möglich sein, dass das Kind während anderer Aktivitäten gestillt werden kann. Kürzer, aber öfter. Ab und zu einen kleinen Snack zu sich nehmen. Und so entspannen sich beide, Kind und Mutter, weil die Mutter nicht mehr so an die heimische Couch gebunden ist und ihrem Kind trotzdem die wertvolle Muttermilch gibt.
Sicher, das widerspricht dem Ansatz der Stille beim Stillen, ist aber vielleicht in erster Linie eine psychische Entlastung für die Mutter, gerade bei älteren Kindern und den wachsenden Aufgaben und dem stressigeren Alltag.
Letztlich ist es eine sehr persönliche Frage, ob man stillen will oder nicht und vor allem wie lange – unsere Gesellschaft hat auch hier klare Vorstellungen und vermittelt dies meist ungefragt und unbedarft. Eine Mutter, die zu lange stillt, gilt als Glucke, eine Mutter, die nicht stillt, als schlechte Mutter, die dem Kind das Wichtigste vorenthält. Wie man es macht, macht man es sicherlich falsch. Und jeder kommentiert das. Und das ist das wirklich Abstruse.
Etwas so Intimes wie das Stillen wird zum Gegenstand einer öffentlichen Diskussion, prominente Damen zeigen ihre gefüllten Brüste im Fernsehen, um wieder einmal deutlich zu machen, wie natürlich das Stillen ist, oder wie schön es ist, das Kind bis zum Schulalter stillen zu lassen. Das hat es alles schon gegeben, auch in den siebziger Jahren. Es ist also nicht so aufregend. Aber muss es das denn sein?
Nicht das Stillen, aber das Gerede darüber. Kann es nicht einfach und ausschließlich in den Schlafzimmern der Mütter bleiben, die selbst entscheiden und ausprobieren, wie es geht und wie sie ihr Kind ernährt bekommen? Und egal, wie sie sich entscheiden, oder egal, wie es funktioniert, welcher Weg der richtige für Mutter und Kind ist, es liegt immer noch an ihr. Sie allein.
Vielleicht ist das zu simpel, aber genau darum geht es. Das Kind muss gefüttert werden, und die Mutter braucht alle ihre Nerven zusammen. Deshalb ist der Weg, auf dem du dich am wohlsten fühlst, immer der richtige.
Alle Einmischungen und Bewertungen von außen sind streng genommen völlig fehl am Platz und bewirken nur eines, die frischgebackene Mutter steht unter Druck, den niemand gebrauchen kann und der die schönste Zeit mit Baby wirklich nicht zusätzlich erschweren sollte.